28 Februar, 2021

Die Mär von der Impfpflicht durch die Hintertür

Ich stelle bei meinen Mitmenschen zunehmend Defizite in der Fähigkeit der Fremdwahrnehmung fest, also in der Fähigkeit des Menschen, sich als Mitglied einer Gemeinschaft mit Rechten aber auch mit Pflichten (die an den Rechten der anderen beginnen) zu begreifen. Ebenso ist natürlich auch die Eigenwahrnehmung gestört, nämlich die Einsicht, dass jede Entscheidung Konsequenzen mit sich bringt, die ich – ganz besonders die negativen – zu akzeptieren habe.

Beispiel – natürlich Corona, genauer das Impfangebot, das nun an immer größere Gruppen der Bevölkerung gegeben werden kann.

Nehmen wir einen Impfgegner und nennen ihn Horst. Ich entschuldige mich hiermit schon mal ganz offiziell bei allen Menschen mit Namen Horst, die derzeit sehnsüchtig auf ein Impfangebot warten.

Horst lehnt es ab, geimpft zu werden. Nun wird im Moment aber gleichzeitig – für mein Empfinden viel zu früh, für andere war es sicherlich höchste Zeit – darüber diskutiert, geimpften Menschen ihre derzeit blockierten Grundrechte wiederzugeben. Natürlich erst nach einer eingehenden Risikoprüfung, d.h., es muss einigermaßen sicher sein, dass Geimpfte nicht nur sich selbst nicht mehr infizieren können sondern auch, dass sie andere nicht infizieren. Sobald dies einigermaßen sicher erscheint, fällt für diese Personen der Grund für die aktuellen Beschränkungen weg, d.h., sie können wieder alle Freiheitsrechte in vollem Umfang genießen, denn diese dürfen ihnen dann gar nicht mehr länger vorenthalten werden.

Horst fühlt sich da diskriminiert. Er fragt – zunächst ganz unschuldig – warum nicht jeder selbst entscheiden kann, ob er sich impfen lässt oder nicht. Ich antworte ihm, er kann sich doch frei entscheiden. Dann spricht er die Beschränkungen, bzw., die den Geimpften wieder zugesprochenen Freiheitsrechte an, denn er würde die ja nicht bekommen. Und somit sei doch die schon vor Wochen verbreitete Warnung der „Impfpflicht durch die Hintertür“ bestätigt.

Ich erkläre ihm, das habe er missverstanden. Es gäbe keine Pflicht und der Staat würde ihm bei entsprechend umfassenden Lockerungen auch keine Beschränkungen auferlegen. Natürlich hätten aber Unternehmen in der Regel das Recht sich aussuchen zu dürfen, wem sie ihre Dienstleistungen anböten. Diesen könne der Staat auch nicht in deren Rechte reinreden. Die persönliche Vorsicht dagegen, also das Ziel andere nicht durch sein Verhalten zu gefährden, sei dagegen eine Frage der Solidarität. Das sei also kein vom Staat zu regelndes juristisches sondern eher ein moralisches und daher persönliches Problem.

Horst erklärt mir nun, es sei doch seine persönliche Entscheidung, ob er – durch die Impfung – seine Gesundheit gefährde oder nicht. Ich antworte, dass diese Entscheidung eben nicht nur ihn betreffe, er entscheide auch gleich noch für alle Menschen mit, denen er im Alltag begegnen wird.

Jetzt wird Horst fuchsteufelswild! Es sei ganz allein seine Entscheidung ob und wodurch er sich gefährde und habe nichts mit den Mitmenschen zu tun! Meine Antwort: Das ist der Unterschied zwischen Egoismus und Solidarität.

Ich befürchte, dass er das nicht verstanden hat, denn er verwechselt die beiden Begriffe.

Egoismus manifestiert sich durch Forderungen des Individuums an die Gesellschaft.

Solidarität sind die Leistungen, die das Individuum unaufgefordert der Gesellschaft leistet.

Anders ausgedrückt: Die Früchte des Egoismus ERHALTE ich, die Früchte der Solidarität GEBE ich.

Daher hat auch jeder das Recht egoistisch zu sein, während Solidarität erhofft, erwünscht aber niemals erzwungen werden kann.

Das Problem am Egoismus ist, dass alle dieses Recht haben!

Der Impfgegner hat natürlich als Individuum das Recht, die Impfung gegen Corona (oder jede andere Viruserkrankung) abzulehnen. Es ist seine Entscheidung und keiner darf ihm da rein reden. Doch seine Entscheidung wird nicht von einer anonymen Masse wahrgenommen, sondern von einer großen Gruppe Individuen, die alle dasselbe Recht auf Egoismus haben.

Diese Individuen können nun zum Beispiel sagen: "Ich möchte nicht mit nicht Geimpften zusammen sein", weil ihnen das Risiko vielleicht doch infiziert werden bei diesem Personenkreis doch zu hoch ist. (aktuelle Studien ergeben, dass sich von zehntausend Geimpften drei trotz Impfung mit dem Biontech Vakzin mit dem Corona-Virus infizieren können, auch wenn die Krankheit dann ohne Krankenhausaufenthalt von alleine abheilt, beim AstraZeneca Vakzin sind es etwa 20 von zehntausend – zum Vergleich: bei den nicht Geimpften werden es voraussichtlich zehntausend von zehntausend sein. Nur wenige werden Krankheitssymptome entwickeln, aber alle zehntausend werden andere anstecken können)

Wenn nun bei einem Dienstleister (Geschäft, Kultureinrichtung, Freizeitangebot…) viele Menschen zusammenkommen, so wird dieser sich überlegen: Wenn ich alle einfach so reinlasse, werden vermutlich diejenigen (Geimpften), die vorsichtig sind entweder nur den allernötigsten Aufenthalt bei mir in Kauf nehmen oder sie bleiben sogar ganz fern. Wenn ich dagegen von den nicht Geimpften einen negativen Test verlange bleiben vielleicht die fern. Dafür kann ich meine Einrichtung aber zur „Corona freien Zone“ erklären, die Kunden, die dann kommen fühlen sich sicher, bleiben länger und konsumieren vielleicht mehr. Der Dienstleister hat dann das Recht, sich für den Weg zu entscheiden, bei dem er sich das bessere Geschäft verspricht.

Reiseveranstalter werden daher vermutlich alle auf Tests setzen, was effektiv von Impfverweigerern als Reisebeschränkung wahrgenommen werden wird, aber nur eine Anwendung der seit Gründung der Bundesrepublik geltenden Geschäftsfreiheit bedeutet.

Horst kann natürlich entrüstet ablehnen, dass seine Entscheidung irgendetwas mit anderen Menschen zu tun habe. Dass man etwas nicht beachtet, heißt aber nicht, dass es nicht existiert – genauso wie einen das Schließen der Augen nicht unsichtbar macht. Das Risiko, dass ein nicht Geimpfter viele andere Menschen infiziert, die dann – z.B. weil sie noch nicht oder aus gesundheitlichen Gründen überhaupt nicht geimpft werden können – je nach persönlicher Disposition hochgradig in ihrer Gesundheit, vielleicht in ihrem Leben gefährdet sind, ist um ein Vielfaches höher als bei einem Geimpften. Durch seine Entscheidung, das zwar geringe, aber dennoch vorhandene Risiko, durch die Impfung selbst einen gesundheitlichen Schaden zu erleiden und lieber das Risiko einer Corona Infektion in Kauf zu nehmen, entscheidet Horst automatisch mit, dass er – nehmen wir an, er entwickelt keine Symptome – unbemerkt zahlreiche Menschen infiziert und gefährdet.

Er kann auch ablehnen, sich vor dem Betreten eines Kaufhauses, eines Theaters oder eines Museums testen zu lassen. Dieses Recht hat er. Die Konsequenz wird aber sein, dass er dann nicht rein darf. Das war natürlich nicht Teil seiner Entscheidung, das hat der Eigentümer der Einrichtung entschieden – aber dieser hat das Recht dazu.

Kurz zusammengefasst: Der Staat ist dazu verpflichtet, uns freie Entscheidungen über unser Leben zu ermöglichen. Er ist nicht dazu verpflichtet (und meist auch gar nicht dazu in der Lage), uns vor den sich für uns daraus ergebenden negativen Konsequenzen zu schützen. Wir sind für die Folgen unserer Entscheidungen selbst verantwortlich – das ist der Preis der Freiheit.

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