Ich stelle bei meinen Mitmenschen zunehmend Defizite in der Fähigkeit der Fremdwahrnehmung fest, also in der Fähigkeit des Menschen, sich als Mitglied einer Gemeinschaft mit Rechten aber auch mit Pflichten (die an den Rechten der anderen beginnen) zu begreifen. Ebenso ist natürlich auch die Eigenwahrnehmung gestört, nämlich die Einsicht, dass jede Entscheidung Konsequenzen mit sich bringt, die ich – ganz besonders die negativen – zu akzeptieren habe.
Beispiel – natürlich Corona, genauer das Impfangebot, das
nun an immer größere Gruppen der Bevölkerung gegeben werden kann.
Nehmen wir einen Impfgegner und nennen ihn Horst. Ich entschuldige mich hiermit schon mal ganz offiziell bei allen Menschen mit Namen Horst, die derzeit sehnsüchtig auf ein Impfangebot warten.
Horst lehnt es ab, geimpft zu werden. Nun wird im Moment
aber gleichzeitig – für mein Empfinden viel zu früh, für andere war es
sicherlich höchste Zeit – darüber diskutiert, geimpften Menschen ihre derzeit
blockierten Grundrechte wiederzugeben. Natürlich erst nach einer eingehenden
Risikoprüfung, d.h., es muss einigermaßen sicher sein, dass Geimpfte nicht nur
sich selbst nicht mehr infizieren können sondern auch, dass sie andere nicht infizieren.
Sobald dies einigermaßen sicher erscheint, fällt für diese Personen der Grund
für die aktuellen Beschränkungen weg, d.h., sie können wieder alle
Freiheitsrechte in vollem Umfang genießen, denn diese dürfen ihnen dann gar nicht mehr länger vorenthalten werden.
Horst fühlt sich da diskriminiert. Er fragt – zunächst ganz
unschuldig – warum nicht jeder selbst entscheiden kann, ob er sich impfen lässt
oder nicht. Ich antworte ihm, er kann sich doch frei entscheiden. Dann spricht
er die Beschränkungen, bzw., die den Geimpften wieder zugesprochenen
Freiheitsrechte an, denn er würde die ja nicht bekommen. Und somit sei doch die
schon vor Wochen verbreitete Warnung der „Impfpflicht durch die Hintertür“
bestätigt.
Ich erkläre ihm, das habe er missverstanden. Es gäbe keine
Pflicht und der Staat würde ihm bei entsprechend umfassenden Lockerungen auch
keine Beschränkungen auferlegen. Natürlich hätten aber Unternehmen in der Regel
das Recht sich aussuchen zu dürfen, wem sie ihre Dienstleistungen anböten. Diesen
könne der Staat auch nicht in deren Rechte reinreden. Die persönliche Vorsicht
dagegen, also das Ziel andere nicht durch sein Verhalten zu gefährden, sei
dagegen eine Frage der Solidarität. Das sei also kein vom Staat zu regelndes
juristisches sondern eher ein moralisches und daher persönliches Problem.
Horst erklärt mir nun, es sei doch seine persönliche
Entscheidung, ob er – durch die Impfung – seine Gesundheit gefährde oder nicht.
Ich antworte, dass diese Entscheidung eben nicht nur ihn betreffe, er
entscheide auch gleich noch für alle Menschen mit, denen er im Alltag begegnen
wird.
Jetzt wird Horst fuchsteufelswild! Es sei ganz allein seine
Entscheidung ob und wodurch er sich gefährde und habe nichts mit den
Mitmenschen zu tun! Meine Antwort: Das ist der Unterschied zwischen Egoismus
und Solidarität.
Ich befürchte, dass er das nicht verstanden hat, denn er
verwechselt die beiden Begriffe.
Egoismus manifestiert sich durch Forderungen des Individuums
an die Gesellschaft.
Solidarität sind die Leistungen, die das Individuum
unaufgefordert der Gesellschaft leistet.
Anders ausgedrückt: Die Früchte des Egoismus ERHALTE ich,
die Früchte der Solidarität GEBE ich.
Daher hat auch jeder das Recht egoistisch zu sein, während
Solidarität erhofft, erwünscht aber niemals erzwungen werden kann.
Das Problem am Egoismus ist, dass alle dieses Recht haben!
Der Impfgegner hat natürlich als Individuum das Recht, die
Impfung gegen Corona (oder jede andere Viruserkrankung) abzulehnen. Es ist
seine Entscheidung und keiner darf ihm da rein reden. Doch seine Entscheidung
wird nicht von einer anonymen Masse wahrgenommen, sondern von einer großen
Gruppe Individuen, die alle dasselbe Recht auf Egoismus haben.
Diese Individuen können nun zum Beispiel sagen: "Ich möchte
nicht mit nicht Geimpften zusammen sein", weil ihnen das Risiko vielleicht doch
infiziert werden bei diesem Personenkreis doch zu hoch ist. (aktuelle Studien
ergeben, dass sich von zehntausend Geimpften drei trotz Impfung mit dem Biontech
Vakzin mit dem Corona-Virus infizieren können, auch wenn die Krankheit dann
ohne Krankenhausaufenthalt von alleine abheilt, beim AstraZeneca Vakzin sind es
etwa 20 von zehntausend – zum Vergleich: bei den nicht Geimpften werden es
voraussichtlich zehntausend von zehntausend sein. Nur wenige werden
Krankheitssymptome entwickeln, aber alle zehntausend werden andere anstecken
können)
Wenn nun bei einem Dienstleister (Geschäft, Kultureinrichtung,
Freizeitangebot…) viele Menschen zusammenkommen, so wird dieser sich überlegen:
Wenn ich alle einfach so reinlasse, werden vermutlich diejenigen (Geimpften),
die vorsichtig sind entweder nur den allernötigsten Aufenthalt bei mir in Kauf nehmen
oder sie bleiben sogar ganz fern. Wenn ich dagegen von den nicht Geimpften
einen negativen Test verlange bleiben vielleicht die fern. Dafür kann ich meine
Einrichtung aber zur „Corona freien Zone“ erklären, die Kunden, die dann kommen fühlen
sich sicher, bleiben länger und konsumieren vielleicht mehr. Der Dienstleister
hat dann das Recht, sich für den Weg zu entscheiden, bei dem er sich das
bessere Geschäft verspricht.
Reiseveranstalter werden daher vermutlich alle auf Tests
setzen, was effektiv von Impfverweigerern als Reisebeschränkung wahrgenommen
werden wird, aber nur eine Anwendung der seit Gründung der Bundesrepublik
geltenden Geschäftsfreiheit bedeutet.
Horst kann natürlich entrüstet ablehnen, dass seine
Entscheidung irgendetwas mit anderen Menschen zu tun habe. Dass man etwas nicht
beachtet, heißt aber nicht, dass es nicht existiert – genauso wie einen das
Schließen der Augen nicht unsichtbar macht. Das Risiko, dass ein nicht
Geimpfter viele andere Menschen infiziert, die dann – z.B. weil sie noch nicht
oder aus gesundheitlichen Gründen überhaupt nicht geimpft werden können – je nach
persönlicher Disposition hochgradig in ihrer Gesundheit, vielleicht in ihrem
Leben gefährdet sind, ist um ein Vielfaches höher als bei einem Geimpften. Durch seine Entscheidung, das zwar geringe, aber dennoch
vorhandene Risiko, durch die Impfung selbst einen gesundheitlichen Schaden zu
erleiden und lieber das Risiko einer Corona Infektion in Kauf zu nehmen, entscheidet
Horst automatisch mit, dass er – nehmen wir an, er entwickelt keine Symptome – unbemerkt
zahlreiche Menschen infiziert und gefährdet.
Er kann auch ablehnen, sich vor dem Betreten eines Kaufhauses,
eines Theaters oder eines Museums testen zu lassen. Dieses Recht hat er. Die
Konsequenz wird aber sein, dass er dann nicht rein darf. Das war natürlich
nicht Teil seiner Entscheidung, das hat der Eigentümer der Einrichtung
entschieden – aber dieser hat das Recht dazu.
Kurz zusammengefasst: Der Staat ist dazu verpflichtet, uns
freie Entscheidungen über unser Leben zu ermöglichen. Er ist nicht dazu
verpflichtet (und meist auch gar nicht dazu in der Lage), uns vor den sich für
uns daraus ergebenden negativen Konsequenzen zu schützen. Wir sind für die
Folgen unserer Entscheidungen selbst verantwortlich – das ist der Preis der
Freiheit.
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