Irgendwo habe ich kürzlich gelesen, dass wir uns entscheiden müssten zwischen dem Recht auf körperlicher Unversehrtheit und den Grundrechten.
So fängt es an!
Das Recht auf körperliche Unversehrtheit IST ein
Grundrecht!!
Im Moment wägen wir also zwischen Grundrechten ab, wägen –
nicht wiegen. Wer hier kommt mit: ein Grundrecht (Unversehrtheit) gegen mehrere
andere (Freiheit, Selbstbestimmung…), der hat nicht richtig nachgedacht.
Die Situation:
Das Virus ist da, Mutationen nehmen zu und somit auch die Wahrscheinlichkeit, dass bei vielen Infizierten irgendwann eine Mutation auftritt, gegen die die aktuellen Vaccine nicht mehr wirken. Es erscheint daher sinnvoll, die Infektionszahlen so niedrig wie nur möglich zu halten, bis eine erneute, schnelle und starke Ausbreitung zumindest für zwei, drei Monate ausgeschlossen werden kann. Das bedeutet Kontaktbeschränkungen – das böse Wort: Lockdown.
Es soll nicht verschwiegen werden, dass dieser – je länger
er dauert – ebenfalls negative Folgen hat, die direkt oder indirekt mit der
Beschränkung der Grundrechte zusammenhängen. Es ist auch klar, dass wir alle
mit den Folgen jahrelang zu kämpfen haben werden. Die Lebensentwürfe vieler
Menschen werden sich in den nächsten Monaten radikal ändern; das ist abzusehen.
Aber diese Menschen werden leben!
Mein Vater starb, als ich zwei Jahre alt war. Ich möchte
behaupten, dass sich mein Lebensentwurf (den ich zu diesem Zeitpunkt
glücklicherweise noch gar nicht kannte) an diesem Tag radikal änderte. Ich bin
heute ein anderer Mensch, als ich geworden wäre, wenn ich meinen Vater wirklich
und bewusst gekannt hätte, wenn er Einfluss auf mein Leben hätte nehmen können.
Ohne Vater hatte ich in meiner Kindheit aufgrund der sich daraus ergebenden
Situation mit vielen Beschränkungen zu tun, die meine Entwicklung in ganz
andere Bahnen lenkte. Ist mein Leben deshalb heute schlechter? Ich kann es
nicht sagen. Aber ich lebe und ich kann auf den weiteren Verlauf meines Lebens
Einfluss nehmen.
Zurück zum Virus:
Eine andere Möglichkeit mit ihm umzugehen, wäre natürlich,
es einfach mit ein paar gut gemeinten Empfehlungen laufen zu lassen. Hier gibt
es natürlich Varianten verschiedener Abstufungen im Vorgehen, im Grund geht es
aber ums Laufenlassen, oder, etwas freundlicher ausgedrückt: mit dem Virus
leben lernen. Ein Blick in die Intensivstationen verrät uns die Folgen dieses
Handelns: teilweise lebenslange Spätfolgen und Tod, und zwar in spürbar
größerer Zahl als das augenblicklich der Fall ist. Gewiss, von diesen Folgen
wären deutlich weniger Menschen betroffen als von einem sich dahinziehenden
Lockdown, aber dafür wären die Folgen endgültig. Hier wird das Grundrecht nicht
vorübergehend beschränkt, hier wird es entzogen.
Es geht bei der Abwägung also nicht um „Abwiegung“. Bei der
Abwägung vergleichen wir drastische, schmerzhafte Umbrüche im Leben, die
natürlich auch einschränkend wirken können – da weiß ich, wovon ich rede – mit unumkehrbaren
und nicht mehr durch den Betroffenen beeinflussbaren Folgen bis hin zum Tod.
Ich weiß, für welche Richtung ich mich entscheiden würde: Auf
Umbrüche kann ich reagieren, mit Anstrengung kann ich sie auch gestalten. Den
Tod kann man nicht gestalten. Darum ist nach meiner Meinung der Gesamtheit der
Grundrechte (und Grundrechte dürfen nur in ihrer Gesamtheit betrachtet werden,
sie sind keine gewöhnlichen Gesetze) nur durch den strengen Schutz des Lebens
Genüge getan, wenn nötig auch durch einen sich hinziehenden Lockdown. Das ist
allerdings eine ethische Frage, wie alles, was mit den Grundrechten zu tun hat.
Man kann hier auch zu einem anderen Ergebnis kommen. Ich kann es aber nicht!
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