27 März, 2021

Wie frei ist „Freiheit“?

Den unmittelbaren Zugang zu einer Definition des Begriffs Freiheit findet man bei Teenagern:

Freiheit bedeutet, dass ich alles tun kann, wozu ich gerade Lust habe!

Teenager haben einen guten Grund zu dieser Definition. Sie kommen gerade aus einem Alter, in dem sich alles um Regeln und Fairness drehte. Bald schon mussten sie aber feststellen, dass dieses System viele Nachteile für sie hat. Zum einen haben sie nur einen sehr begrenzten Einfluss auf die Regeln, zum anderen erkennen sie aber auch bereits sehr gut, dass andere in diesen Regeln besser vorankommen als sie, oft sogar durch geschickte und gezielte Regelverstöße. Sie fühlen sich daher einerseits gegängelt andererseits sogar verarscht. Damit ist das Ziel vorgegeben: Freiheit ist, wenn ich mir selber meine Regeln mache. Und das führt eben zu dem Schluss: Freiheit ist, wenn ich tun kann, was ich will.

Die Diskussionen um Corona zeigen überdeutlich: Menschen, die generell Einschränkungen wegen der offensichtlichen Gefahr ablehnen, sind auf genau diesem Entwicklungsniveau stehen geblieben. Zu oft lese ich – neben selbst aus unterschiedlichsten (und falsch interpretierten!) Quellen zusammengestrickten Verschwörungstheorien – Begründungen wie: „Meine Freiheit wird in unzulässiger Weise beschränkt!“ oder gar „Niemand darf mich einsperren! Was ist mit meiner Menschenwürde?“ Beliebt ist auch: „Sollen doch die zu Hause bleiben, die Angst vor dem Virus haben!“ Auf diese Haltung trifft zu, was man derzeit auch oft den übereilten Maßnahmen unserer Politiker vorwirft:

Nicht zu Ende gedacht!

Denken wir doch einfach mal diese Denke weiter…

Die Freiheitsrechte sind derzeit in vielen Punkten beschränkt, das ist richtig. Was übersehen wird ist, dass in einer Gemeinschaft, also beispielsweise einer Kommune, einem ganzen Staat oder sogar einer Staatengemeinschaft viele Individuen mit höchst unterschiedlichen, oft sogar unvereinbaren Vorstellungen über Freiheit zusammenleben und miteinander auskommen müssen. Insofern müssen immer alle individuellen Persönlichkeits- und Freiheitsrechte gegeneinander abgewogen werden. Dies geschieht in Gesetzen und Verordnungen. In jedem Gemeinwesen ist die Freiheit damit ganz automatisch auf die Wahrnehmung der durch die Gesetzgebung gegebenen Möglichkeiten beschränkt. Damit der Staat hier nicht überreguliert, gibt es Gerichte, die in einem solchen Fall einschreiten und ein Gesetz oder eine Verordnung wieder einkassieren. Dies ist auch im letzten Corona-Jahr öfters mal geschehen. Der Richterspruch bezog sich dabei aber immer auf eine konkrete Verordnung und nicht auf die geltenden Beschränkungen an sich! (wird auch oft und gerne übersehen)

Natürlich wäre das auch anders vorstellbar. Stellen wir uns doch einfach mal eine Welt mit maximaler Freiheit vor.

Dann können ab sofort alle Geschäfte und kulturellen Einrichtungen wieder öffnen. Sie können auch selbst entscheiden, ob sie ihre Kunden auf Corona testen oder nicht, genauso, wie auch jeder Kunde entscheiden kann, ob er sich testen lässt oder nicht. Und wer bei dieser ungewissen Lage Angst hat, muss sich halt zu Hause einschließen, aber das hat er ja selbst, also völlig frei so entschieden.

Allerdings muss diese Freiheit dann dem Gleichheitsgebot (Fairness!) folgend für alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens gelten!

Ein Formel-1-Fan hat sich vielleicht gerade einen neuen Sportwagen gekauft. Er fragt sich, warum es in den Innenstädten so viele Geschwindigkeitsbegrenzungen gibt. Sein teures Navi könnte ihm die freiste Strecke über alle Haupt- und Nebenstraßen, einschließlich Spielstraßen und Fußgängerzonen (Das sind ja auch nur Wege durch die Stadt! Ihre besondere Nutzung wurde lediglich durch eine Verordnung, also eine Freiheitsbeschränkung (der Freiheit, den Weg so zu nutzen, wie man gerade möchte), festgelegt) durch die Stadt berechnen, so dass er mit der maximal möglichen Geschwindigkeit durch den Ort kommt. Je nach Größe der Stadt würde ihm das vielleicht eine tägliche Zeitersparnis von über einer Stunde bringen; seine Freiheitsrechte werden also spürbar beschränkt! Und: Wenn jemand Angst hat, durch einen Raser überfahren zu werden, kann er ja zu Hause bleiben – und Eltern haften und entscheiden für ihre Kinder.

Nun hat aber vielleicht ein Mensch vom Typ Mr. Universum Angst vor dem Virus und fühlt sich von seinem ungetesteten und unzureichend maskierten Gegenüber in seinem Recht auf körperliche Unversehrtheit bedroht – auch ein Freiheitsrecht. Freiheit würde für ihn nun heißen, durch geeignete Maßnahmen – in diesem Fall einer hinreichenden Menge Gewalt – den anderen krankenhausreif zu prügeln. Mit einem Baseballschläger ließe sich sogar das Abstandsgebot einhalten! Für die Zeit, in der der Niedergeschlagene im Krankenhaus liegt, wird er ganz offensichtlich nicht mehr auf der Straße unterwegs sein. Wenn der andere das nicht möchte, hätte er sich ja auf der Straße vernünftig verhalten können oder gleich ganz zu Hause bleiben!

Diese Form der Freiheit ist, wie wir sehen, gleichzusetzen mit dem Faustrecht. Der Stärkere hat immer Recht!

So denkt man eine Idee zu Ende.

So zu denken ist übrigens nicht verboten! In den USA denken zum Beispiel viele Anhänger der Republikanischen Partei so. Wenn man das weiß, versteht man auch, warum sie jede Abweichung davon als Kommunismus (dem Gegenbild zur Freiheit ihrer Definition) interpretieren.

Eine andere Denkweise über Freiheit ist, maximale Freiheit für die eigene Gruppe (in Demokratien ist das die Mehrheit, in autokratischen Systemen sind es die Seilschaften der Regierenden) zulasten der Freiheiten der anderen.

Wenn man sich Freiheit so vorstellt, kann man als Trump-Anhänger auch ganz klar den Regierungswechsel in den USA nicht akzeptieren, denn er widerspricht den eigenen Wünschen, beschränkt damit die eigene Freiheit in nicht akzeptabler Weise. In letzter Konsequenz wird man gegebenenfalls auch die Freiheitsrechte – in diesem Fall also das Faustrecht – auch zur Wiedererlangen der eigenen Freiheit einsetzen.

Beide Denkweisen lassen sich bis zu einem gewissen Grad realisieren. Wenn der Bogen überspannt wird, krachen die jeweiligen Systeme aber in sich zusammen. In einer Demokratie wechseln dann die Mehrheiten – oft sogar erdrutschartig, ein autokratischen Systemen nimmt die Gefahr von Umstürzen und Revolutionen zu, weshalb die exekutive Staatsgewalt dann von den Regierenden immer weiter ausgebaut und verstärkt werden muss.

In Deutschland haben wir uns dazu entschieden, weder Faustrecht noch Bevorzugung der eigenen Gruppe als Freiheit zu verstehen. Ganz im Gegenteil erachten wir beides als Unfreiheit, weil hierdurch bestimmte Gruppen innerhalb der Gemeinschaft nie ihre Freiheitsrechte wahrnehmen können.

Unsere Staatsphilosophie lautet:

Damit in unserem Land Freiheit herrscht, muss der Staat durch Gesetze und Verordnungen für einen Ausgleich der verschiedenen, oft unvereinbaren Interessen sorgen!

Daran arbeiten Regierungen und Parlamente. Ob sie dies korrekt tun, entscheiden die Gerichte. Ob sie das im Sinne ihres Volkes tun, darüber entscheidet dieses bei den regelmäßig stattfindenden Wahlen. Als Individuum muss ich ein Wahlergebnis nicht toll finden, aber wenn ich innerhalb dieser Gemeinschaft leben und arbeiten möchte, muss ich es akzeptieren und die sich daraus ergebende Regierung respektieren – zumindest bis zum nächsten Wahltag. Das schließt Kritik an nicht zu Ende gedachten Maßnahmen natürlich nicht aus, es schließt aber aus, der aktuellen Regierung die Legitimität ihrer Existenz und ihrer Entscheidungen abzusprechen. Wer dies tut, hat nicht begriffen, wie dieses Land funktioniert, hat nicht erkannt, dass seine Kritik (sei sie berechtigt oder unberechtigt) nur deshalb möglich ist, weil unser Verständnis von Staat und Ausgleich der Interessen funktioniert.

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