Den unmittelbaren Zugang zu einer Definition des Begriffs Freiheit findet man bei Teenagern:
Freiheit bedeutet, dass ich
alles tun kann, wozu ich gerade Lust habe!
Teenager haben einen guten Grund zu dieser Definition. Sie
kommen gerade aus einem Alter, in dem sich alles um Regeln und Fairness drehte.
Bald schon mussten sie aber feststellen, dass dieses System viele Nachteile für
sie hat. Zum einen haben sie nur einen sehr begrenzten Einfluss auf die Regeln,
zum anderen erkennen sie aber auch bereits sehr gut, dass andere in diesen
Regeln besser vorankommen als sie, oft sogar durch geschickte und gezielte
Regelverstöße. Sie fühlen sich daher einerseits gegängelt andererseits sogar
verarscht. Damit ist das Ziel vorgegeben: Freiheit ist, wenn ich mir selber
meine Regeln mache. Und das führt eben zu dem Schluss: Freiheit ist, wenn ich
tun kann, was ich will.
Die Diskussionen um Corona zeigen überdeutlich: Menschen, die generell Einschränkungen wegen der offensichtlichen Gefahr ablehnen, sind auf genau diesem Entwicklungsniveau stehen geblieben. Zu oft lese ich – neben selbst aus unterschiedlichsten (und falsch interpretierten!) Quellen zusammengestrickten Verschwörungstheorien – Begründungen wie: „Meine Freiheit wird in unzulässiger Weise beschränkt!“ oder gar „Niemand darf mich einsperren! Was ist mit meiner Menschenwürde?“ Beliebt ist auch: „Sollen doch die zu Hause bleiben, die Angst vor dem Virus haben!“ Auf diese Haltung trifft zu, was man derzeit auch oft den übereilten Maßnahmen unserer Politiker vorwirft:
Nicht zu Ende gedacht!
Denken wir doch einfach mal diese Denke weiter…
Die Freiheitsrechte sind derzeit in vielen Punkten
beschränkt, das ist richtig. Was übersehen wird ist, dass in einer Gemeinschaft,
also beispielsweise einer Kommune, einem ganzen Staat oder sogar einer Staatengemeinschaft
viele Individuen mit höchst unterschiedlichen, oft sogar unvereinbaren
Vorstellungen über Freiheit zusammenleben und miteinander auskommen müssen.
Insofern müssen immer alle individuellen Persönlichkeits- und Freiheitsrechte
gegeneinander abgewogen werden. Dies geschieht in Gesetzen und Verordnungen. In
jedem Gemeinwesen ist die Freiheit damit ganz automatisch auf die Wahrnehmung
der durch die Gesetzgebung gegebenen Möglichkeiten beschränkt. Damit der Staat
hier nicht überreguliert, gibt es Gerichte, die in einem solchen Fall
einschreiten und ein Gesetz oder eine Verordnung wieder einkassieren. Dies ist
auch im letzten Corona-Jahr öfters mal geschehen. Der Richterspruch bezog sich
dabei aber immer auf eine konkrete Verordnung und nicht auf die geltenden
Beschränkungen an sich! (wird auch oft und gerne übersehen)
Natürlich wäre das auch anders vorstellbar. Stellen wir uns
doch einfach mal eine Welt mit maximaler
Freiheit vor.
Dann können ab sofort alle Geschäfte und kulturellen
Einrichtungen wieder öffnen. Sie können auch selbst entscheiden, ob sie ihre
Kunden auf Corona testen oder nicht, genauso, wie auch jeder Kunde entscheiden
kann, ob er sich testen lässt oder nicht. Und wer bei dieser ungewissen Lage
Angst hat, muss sich halt zu Hause einschließen, aber das hat er ja selbst,
also völlig frei so entschieden.
Allerdings muss diese Freiheit dann dem Gleichheitsgebot
(Fairness!) folgend für alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens gelten!
Ein Formel-1-Fan hat sich vielleicht gerade einen neuen
Sportwagen gekauft. Er fragt sich, warum es in den Innenstädten so viele
Geschwindigkeitsbegrenzungen gibt. Sein teures Navi könnte ihm die freiste
Strecke über alle Haupt- und Nebenstraßen, einschließlich Spielstraßen und
Fußgängerzonen (Das sind ja auch nur Wege durch die Stadt! Ihre besondere Nutzung
wurde lediglich durch eine Verordnung, also eine Freiheitsbeschränkung (der
Freiheit, den Weg so zu nutzen, wie man gerade möchte), festgelegt) durch die
Stadt berechnen, so dass er mit der maximal möglichen Geschwindigkeit durch den
Ort kommt. Je nach Größe der Stadt würde ihm das vielleicht eine tägliche Zeitersparnis
von über einer Stunde bringen; seine Freiheitsrechte werden also spürbar
beschränkt! Und: Wenn jemand Angst hat, durch einen Raser überfahren zu werden,
kann er ja zu Hause bleiben – und Eltern haften und entscheiden für ihre
Kinder.
Nun hat aber vielleicht ein Mensch vom Typ Mr. Universum
Angst vor dem Virus und fühlt sich von seinem ungetesteten und unzureichend maskierten
Gegenüber in seinem Recht auf körperliche Unversehrtheit bedroht – auch ein
Freiheitsrecht. Freiheit würde für ihn nun heißen, durch geeignete Maßnahmen –
in diesem Fall einer hinreichenden Menge Gewalt – den anderen krankenhausreif
zu prügeln. Mit einem Baseballschläger ließe sich sogar das Abstandsgebot
einhalten! Für die Zeit, in der der Niedergeschlagene im Krankenhaus liegt, wird
er ganz offensichtlich nicht mehr auf der Straße unterwegs sein. Wenn der
andere das nicht möchte, hätte er sich ja auf der Straße vernünftig verhalten
können oder gleich ganz zu Hause bleiben!
Diese Form der Freiheit ist, wie wir sehen, gleichzusetzen
mit dem Faustrecht. Der Stärkere hat immer Recht!
So denkt man eine Idee zu Ende.
So zu denken ist übrigens nicht verboten! In den USA denken
zum Beispiel viele Anhänger der Republikanischen Partei so. Wenn man das weiß,
versteht man auch, warum sie jede Abweichung davon als Kommunismus (dem
Gegenbild zur Freiheit ihrer Definition) interpretieren.
Eine andere Denkweise über Freiheit ist, maximale Freiheit
für die eigene Gruppe (in Demokratien ist das die Mehrheit, in autokratischen
Systemen sind es die Seilschaften der Regierenden) zulasten der Freiheiten der
anderen.
Wenn man sich Freiheit so vorstellt, kann man als Trump-Anhänger
auch ganz klar den Regierungswechsel in den USA nicht akzeptieren, denn er
widerspricht den eigenen Wünschen, beschränkt damit die eigene Freiheit in nicht
akzeptabler Weise. In letzter Konsequenz wird man gegebenenfalls auch die
Freiheitsrechte – in diesem Fall also das Faustrecht – auch zur Wiedererlangen
der eigenen Freiheit einsetzen.
Beide Denkweisen lassen sich bis zu einem gewissen Grad
realisieren. Wenn der Bogen überspannt wird, krachen die jeweiligen Systeme
aber in sich zusammen. In einer Demokratie wechseln dann die Mehrheiten – oft sogar
erdrutschartig, ein autokratischen Systemen nimmt die Gefahr von Umstürzen und
Revolutionen zu, weshalb die exekutive Staatsgewalt dann von den Regierenden
immer weiter ausgebaut und verstärkt werden muss.
In Deutschland haben wir uns dazu entschieden, weder Faustrecht
noch Bevorzugung der eigenen Gruppe als Freiheit zu verstehen. Ganz im
Gegenteil erachten wir beides als Unfreiheit, weil hierdurch bestimmte Gruppen innerhalb
der Gemeinschaft nie ihre Freiheitsrechte wahrnehmen können.
Unsere Staatsphilosophie lautet:
Damit in unserem Land Freiheit herrscht, muss der Staat
durch Gesetze und Verordnungen für einen Ausgleich der verschiedenen, oft unvereinbaren
Interessen sorgen!
Daran arbeiten Regierungen und Parlamente. Ob sie dies
korrekt tun, entscheiden die Gerichte. Ob sie das im Sinne ihres Volkes tun,
darüber entscheidet dieses bei den regelmäßig stattfindenden Wahlen. Als
Individuum muss ich ein Wahlergebnis nicht toll finden, aber wenn ich innerhalb
dieser Gemeinschaft leben und arbeiten möchte, muss ich es akzeptieren und die
sich daraus ergebende Regierung respektieren – zumindest bis zum nächsten
Wahltag. Das schließt Kritik an nicht zu Ende gedachten Maßnahmen natürlich
nicht aus, es schließt aber aus, der aktuellen Regierung die Legitimität ihrer
Existenz und ihrer Entscheidungen abzusprechen. Wer dies tut, hat nicht
begriffen, wie dieses Land funktioniert, hat nicht erkannt, dass seine Kritik
(sei sie berechtigt oder unberechtigt) nur deshalb möglich ist, weil unser
Verständnis von Staat und Ausgleich der Interessen funktioniert.
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